Gib mal ein paar Daten zum Tourverlauf.
Wir nahmen das erste Schiff nach St.Bartholomä und konnten dort erst um 9.00 Uhr starten. Die meisten fahren schon im Vortag über den See und nächtigen im sog. Ostwandlager, Aufstieg dann bei Sonnenaufgang.
Wir waren also eigentlich 3 Stunden zu spät dran. Route sollte der "Berchtesgadener Weg" sein. Nur zur Erklärung: es ist kein markierter Weg. Es gibt nur ganz wenige Orientierungspunkte oder Spuren anderer. Die Wand lockt manchmal in die falsche Richtung, was vielen schon zum Verhängnis geworden ist. An 2-3 Stellen muss man auch mal punktgenau eine senkrechte (kurze) Wand überwinden, um die nächste Ebene zu erreichen.
Bei jeder Rettung durch die Bergwacht werden Haken zum Sichern gesetzt. Es sind mittlerweile so viele Haken, dass man verwirrt wird: es könnte der richtige Weg sein oder die Absturzstelle eines Opfers. Erwin ist ein Ostwand-Kenner (ich ein Neuling), trotzdem sind wir wegen dieser Haken einmal falsch gestiegen und haben zusätzlich Zeit verloren.
Seilsicherung ist ein anderes Thema. Kostet Zeit und theoretisch kann man auch ohne Sicherung durchsteigen. Aber: an 80% der Wand ist tatsächlich jeder Fehler tödlich. An dem Abend stürzten unter uns zwei Bergsteiger ab, am nächsten Tag musste ein Zweierteam wegen Erschöpfung aus der Wand geflogen werden, kurz danach stürzte auf unserer Route ein 24 jähriger Kletter 250 m in den Tod usw.
Ich hatte 4 Stunden gerechnet, Erwin 6 Std. für die komplette Wand. Nach 10 Stunden haben wir erst die Biwakschachtel gesehen:
Der rote Kreis markiert die Biwakschachtel. Darin sind Liegematten, Kerzen und Schlafsäcke sowie zur Not ein Seil.
Es wurde langsam dunkel (wir hatten zwar Lampen dabei), aber Erwin war zu erschöpft. Nach 10 Stunden ständig steil sind 90% der Bergsteiger erschöpft. Also Nachtlager einrichten, den Sonnenunter- und -aufgang geniessen. Essen hatten wir, Trinken wurde knapp. Ab Mitte der Wand gibt es kein Wasser mehr für mindestens die nächsten 6-8 Gehstunden.
Nächster Tag Aufstieg zur Südspitze (2 Stunden), kurze Rast. Der Abstieg vom Watzmann ist in jede Richtung beschwerlich und sehr mühsam. Steil, felsig, Geröll, Schotter und immer wieder steil und lang. Eigentlich willten wir übers Wimbachgries absteigen, die ersten paar 100 Höhenmeter sind hier aber mehr eine Rutschpartie im steilen Geröll. Also entschieden wir uns für die Watzmannüberschreitung: von der Südspitze runter und rauf zur Mittelspitze und von dort runter und rauf zum Hocheck. Vom Hocheck geht ein furchtbarer Weg zum Watzmannhaus und von dort markiert und ausgetreten zurück zum Königssee, aber teilweise auch sehr steil (Falzsteig etc.). Am zweiten Tag waren wir knapp 12 Stunden unterwegs.
Fazit: das grösste Problem ist die Wegfindung, das zweitgrösste die notwendige Kondition und neben Leichtsinn wird auch ein zu schwerer Rucksack beim Klettern an der Ostwand schnell zum Verhängnis.
In der Wand war für mich klar: einmal und nie wieder. Rückblickend macht (mich) dieses Gefühl des auf sich gestellt sein, des "durch müssens" ein bisschen süchtig. Auch wenn man nicht mehr will oder kann oder gar Panik hat (ich bin z.B. nicht schwindelfrei), kann man in der Wand nicht einfach aufhören und heimgehen. Man muss die Sache zu Ende bringen. Das ist irgendwie toll in der heutigen Zeit. Kein Resetknopf, kein Airbag, kein ESP.
Mike